Ein paar Notizen zu #Selbständige #Sozialsystem #Sparpaket
Unlängst habe ich beim Frühstück die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift AK für Sie vom Februar 2012 durchgeblättert. Das Blatt der Arbeiterkammer widmet einen Themenschwerpunkt der Frage: "Defizit abbauen, aber richtig!" Es geht darum, dass nicht nur die „Kleinen“ belastet werden. Sondern vor allem auch die „Großen“ müssen einen gerechten Beitrag zur Budgetsanierung leisten. Gefordert wird daher unter anderem eine Steuer auf Vermögen über 700.000 Euro. Okay, da kann ich mich anschließen.
Kleine und Große
Weniger einverstanden bin ich (und der Kaffee wurde auch schon etwas lau) mit dem Kommentar des AK-Präsidenten Herbert Tumpel, der dem Artikel beigestellt ist. Unter dem Titel „Defizit sozial ausgewogen verringern“ schreibt er: „Manche behaupten, nur bei den ArbeitnehmerInnen gibt es Menschen, die keine Steuern zahlen. Die Fakten zeigen anderes: Es gibt 30 Prozent, die keine Lohnsteuer bezahlen, das sind aber die Leute, die nur rund 1.200 Euro brutto verdienen. Was oft vergessen wird: Bei den Freiberuflern und Einzelunternehmen, den Einkommensteuerpflichtigen zahlen 30 Prozent keine Einkommenssteuer. …“ Grund für diesen Missstand, so der Tenor der AK-Berichte: Steuerprivilegien und Steuerlücken und unzählige „Gestaltungsmöglichkeiten“ für UnternehmerInnen, um möglichst wenig an den Fiskus abzuliefern.
Zahlen und Bezahlen
Mir fallen zu diesen Zahlen andere Zahlen ein. Etwa die aus meiner eigenen Buchhaltung. Auch ich bin „Unternehmerin“ und das seit mehr als 25 Jahren. Als freie Journalistin falle ich in die Kategorie „Neue Selbständige“. Ich bin damit eine von rund 40.000 dieser Wirtschafstreibenden ohne Gewerbeschein in Österreich, die in über 150 Berufen arbeiten. Im Laufe meines beruflichen Lebens gab es auch immer wieder magere Jahre, wo ich keine Einkommenssteuer zu zahlen hatte. Weil der Einkommensteuerfreibetrag bei derzeit 11.000 Euro liegt und ich mit meinem Gewinn darunter lag. Weil ich zwar viel gearbeitet, aber wenig verdient habe, ganz ohne großartige kreative „Gestaltungsmöglichkeiten“ bei der Steuererklärung, um mir Abgaben zu ersparen.
Mit dem Spannungsfeld von Selbständigkeit und Sozialsystem habe ich mich auch im zweiten Teil meiner Radiokollegreihe „Versichert – Verunsichert“ genauer beschäftigt. (Der Beitrag wurde am 17.
Jänner 2012 auf Ö1 ausgestrahlt). Auch darin geht es viel um Zahlen, was die Einkommenssituation und die Sozialversicherungsbeiträge von Freiberuflern und Einzelunternehmen betrifft.
Zusammengetragen hat sie die Unternehmensberaterin Martina Schubert, die ich für die Sendung interviewt habe. Sie betreibt das Forum zur Förderung der Selbständigkeit FO.FO.S und engagiert sich für die Gruppe Amici delle SVA, die auf Facebook Gleichgesinnte versammelt. Gemeinsames Anliegen: eine Entlastung der Selbständigen bei den Beiträgen zur Gewerblichen Sozialversicherung (SVA), vor allem auch für die Ein-Personen-Unternehmen, kurz EPU, von denen viele mit Existenznöten ringen.
Selbständigkeit und Sozialsystem
Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: So verfügt rund die Hälfte der etwas mehr als 300.000 ausschließlich selbständig Tätigen in Österreich über ein Monatseinkommen von unter 1.000 Euro netto, Frauen verdienen noch um einiges weniger. Angesichts des jährlichen Medianeinkommens der ausschließlich selbständig Tätigen von knapp 11.000 Euro netto wird nicht nur klar, warum so viele UnternehmerInnen keine Einkommenssteuer bezahlen. Es zeigt auch auf, dass viele Selbständige an oder unter der Armutsgrenze leben. Ihre Armutsgefährdung ist ungefähr doppelt so hoch wie bei den übrigen Erwerbstätigen. Oder trügt der Schein, sind das alles nur gewitzte SteuerhinterzieherInnen?
Dazu kommt die Sozialversicherung, die auch ich wie andere gering verdienende Selbständige laufend bezahle. Derzeit gehen rund 25 Prozent meiner sozialversicherungspflichtigen Einkünfte an
Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pensionsversicherung an die SVA. Anders als bei den Unselbständigen gibt es für uns SVA-Versicherte einen 20-prozentigen Selbstbehalt bei Arztbesuchen. Und
die so genannte Mindestbeitragsgrundlage. Das ist ein gesetzlich festgelegter Betrag, der je nach Versichertengruppe, variiert. Derzeit liegt die monatliche Mindestbeitragsgrundlage bei der
gewerblichen Sozialversicherung bei rund 600 Euro. Auch wer ein geringeres Einkommen hat, zahlt von diesem Betrag seine Pflichtbeiträge weg. Am anderen Ende steht die Höchstbeitragsgrundlage bei
derzeit knapp 5.000 Euro pro Monat. Wer darüber kommt, zahlt immer gleich viel ein. Ein System, das die Wenigverdiener am härtesten trifft. Hat sich das über die Betroffenen hinaus eigentlich
schon bei den Verantwortlichen in den Kammern herumgesprochen?
Erosion und Schnittstellen
Die nackten Fakten entlarven aus meiner Sicht die Position der Arbeitkammer als allzu simples Unternehmer-Bashing. Außerdem haben viele der allein arbeitenden Gewerbetreibenden und freien Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden ihr Unternehmerdasein nicht unbedingt freiwillig gewählt. Prekäre Beschäftigungsformen sind in manchen Branchen gang und gäbe, die Zahl neuer Selbständiger steigt. Wo sind die Anstellungen? Wann werden die Honorare erhöht?
In ganz Europa zeigt sich eine Erosion bei der sozialen Absicherung wachsender Teile der Bevölkerung. Neben der Workless Poor gibt es auch immer mehr Working Poor – denn Arbeit um „jeden Preis“
sichert nicht zwangsläufig den Lebensunterhalt. Um sich über Wasser zu halten, pendeln auch in Österreich zunehmend Menschen zwischen verschiedenen beruflichen Situationen hin und her, mal eine
befristete oder geringfügige Anstellung da, mal ein freies Dienstverhältnis oder ein Werkvertrag dort. Viele haben Mischeinkommen aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit, und mit den
Mehrfachversicherungen verbunden ist auch ein ziemliches administratives Gewirx. Wo sind die Schnittstellen im Sozialsystem für jene Leute Leute, die zwischen den Stühlen sitzen? Wer ist
verantwortlich für die veränderten Erwerbsrealitäten? Wer sieht sich zuständig für die EPU und die Anliegen der selbständigen, freischaffenden ÜberlebenskünstlerInnen in prekärer Lage? Die
Wirtschaftskammer? Die AK für Sie – für uns? Die Regierung? Die Politik?
Lechts und Rinks
Medienberichten der letzten Tage ist zu entnehmen, dass im Zusammenhang mit Schuldenbremse und Sparpaket eine Erhöhung des Pensionsversicherungsbeitrags der Selbstständigen geplant ist. Vielleicht ist das ein Jammern auf hohem Niveau – im Vergleich zur sozialen Misere in Griechenland und anderswo, weiter im Süden dieser Welt. Aber das wird für viele von uns eng – und manchen Kolleginnen und Kollegen platzt schön langsam der Kragen.
Das Problem: Wir sind schlecht organisiert, EinzelkämpferInnen ohne einflussreiche Lobby und ernsthaft engagierte Interessensvertretungen. Dennoch: Es tut sich was, das zeigen die Aktivitäten der Amici delle SVA ebenso wie die Proteste der freien MitarbeiterInnen des ORF. Vielleicht sind das die neuen Ansatzpunkte – um es geschraubter zu formulieren – für das, was Antonio Negri und Michael Hardt Anfang der 2000er in ihrem Buch „Empire - die neue Weltordnung“ als Multitude beschreiben: Eine Vielheit oder Vielfalt von Personen und Subjekten. Singularitäten, die unterstützt durch soziale Netzwerke gemeinsam agieren und kooperieren. Eine Art neue „Klasse“, die den (globalen) Wandel be-denkt und sich auch lokal gegen kurzsichtige (Partei-)Politik wehrt, die jeweils nur die vermeintlich eigene Klientel bedient.
Schließlich sind wir schon viele und werden immer mehr. Aufwachen und guten Morgen!
Update Sparpaket
Seit Freitag, 10. Februar 2012, steht es fest: Das von der österreichischen Bundesregierung präsentierte Sparpaket beschert den Selbständigen tatsächlich eine Erhöhung der Pensionsversicherungsbeiträge. Sie steigen mit Juli 2012 von 17,5 auf 18,5 Prozent. Ein Prozentpunkt, der wieder vor allem die Wenigverdiener besonders treffen wird, auch weil alle, die unter der Einkommenssteuergrenze die höheren Pensionsbeiträge bei der Steuer gar nicht geltend machen können. Kritische Stellungnahmen in Medien und von Interessensverbänden gab es dazu bis dato (Sonntag 12.2.2012) nicht. Offensichtlich ein "Minderheitenthema" halt.
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