Ein paar Notizen zur aktuellen Online-Mediendebatte
Seit einiger Zeit verfolgen mich die Debatten über die Medienauftritte im Netz, vor allem weil ich die Positionen der großen Player ganz und gar nicht teilen mag. So hat in Österreich bekanntlich die Kommmunikationsbehörde KommAustria Anfang Februar 2012 befunden, dass der ORF mit seinen Accounts in sozialen Netzwerken gegen das Gesetz verstoße. Viele NutzerInnen und JournalistInnen haben das kritisiert. Ich auch, wie in meinem Blogpost Dürfen's denn das? nachzulesen. Mittlerweile hat sich das amtliche Facebook-Verbot für den Österreichischen Rundfunk auch in Deutschland bis zur TAZ herumgesprochen, in der Saskia Hödl am 20.2.2012 unter dem Titel Gefällt ihnen nicht über diese medienpolitisch hinterwäldlerische Groteske berichtete.
Gefällt mir nicht ...
Doch auch bei unseren deutschen Nachbarn spielen sich diesbezüglich momentan seltsame Sandkastenkriege ab. Auch dort geht es um die Frage, was Verleger und öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Internet tun und lassen dürfen und was nicht. Dabei stehen allerdings nicht Facebook und Co. zur Disposition, sondern genereller die Form und der Umfang der journalistischen Online-Angebote.
Auslöser dafür war die kostenlose Tagesschau-App, gegen die mehrere Zeitungsverlage im vergangenen Jahr aus Gründen der Konkurrenz geklagt hatten. Das mobile Nachrichtenangebot der Tagesschau, das auch Texte bereitstellt (no na), sei zu "presseähnlich" lautete der Vorwurf. Das Gericht forderte die Streitparteien auf, sich gütlich zu einigen. Es folgten (öffentlich durchgesickerte) Entwürfe zu einer gemeinsamen Erklärung von Verlegerverband und IntendatInnen, die nicht nur die deutsche Netzgemeinde auf den Plan riefen, sondern auch die Onliner der Sendeanstalten. Denn demnach wäre vorgesehen, dass sich ARD und ZDF bei ihren Online-Auftritten schwerpunktmäßig auf Audio– und Videoinhalte konzentrieren. Im Gegenzug sollten sich die Online-Ableger der Printmedien im Wesentlichen auf Texte und Fotos beschränken. Eine absurde Aufteilung, die der Medienjournalist Stefan Niggemeier in einem seiner pointierten Blogbeiträge am 20.2.2012 als Vorauseilende Selbstverstümmelung diagnostizierte.
Amputation des Online-Journalismus ...
Diese gegenseitige Amputation des Online-Journalismus wäre nicht nur aus professionellen Gründen schmerzlich. Sie beschneidet auch das Recht auf umfassende und für alle NutzerInnen zugängliche Information. Die multisensuelle Aufbereitung von Inhalten ist nämlich ein zentrales Gebot der Barrierefreiheit im Internet, zu dem sich vor allem die öffentlich-rechtlichen Anbieter verpflichtet sehen müssten. Was diese aber, trotz jahrelanger Kämpfe der Behinderten-Communities, in der aktuellen Argumentation zu vergessen scheinen. Ein Umstand, auf den auch die gehörlose deutsche Bloggerin Julia Probst in einem Posting hinweist, in dem sie erklärt, warum der Depublizierungsstreit fatal ist für die Barrierefreiheit.
Auch wenn in Deutschland und in Österreich (und in anderen europäischen Ländern auch) die Fronten im Streit um die mediale Internet-Vorherrschaft etwas anders gelagert sind, gibt es doch mehrere Überschneidungen. So dreht sich hier wie dort für die Medienkonzerne und Kartelle ganz offensichtlich alles darum, wie sie als Platzhirschen ihre Marktreviere in den Gehegen des WWW gewinnbringend abstecken können. Ein in Zeiten grenzenloser multimedialer Information und sozialer Online-Interaktion sowohl journalistisch-handwerklich als auch medial-öffentlich widersinniger Protektionismus, der vor allem eines nicht im Auge hat: das (junge) Publikum.
Und hier wie dort sind als gemeinsame Klammer aus meiner Sicht folgende Fragen in einer breiten öffentlichen Debatte auszuloten und zu beantworten: Wie sieht eine öffentlich-rechtliche Netzkultur
aus? Welche gebührenfinanzierten, nicht-kommerziellen, innovativen, möglichst vielfältigen und barrierefreien, sozialen, politischen, kulturellen ... Online-Angebote (und mobilen
Informationsdienste) brauchen wir – die BürgerInnen und MedienkonsumentInnen – für eine demokratische Öffentlichkeit und Gesellschaft? Welche Chancen bietet das (Social) Web für Bildung, Medienkompetenz,
Partizipation, Emanzipation, Inklusion ...
oder Tiefenbohrung im digitalen Lebensraum ...
Mit dem Debattenportal Diskurs@Deutschlandfunk gibt es in Deutschland nun immerhin ein vielversprechendes öffentlich-rechtliches und mit sozialen Netzwerkzeugen verknüpftes Kommunikationsgefäß, das Stimmen und Stimmungen zum Medienwandel online publik macht. Die neue Plattform des Deutschlandfunk will laut Selbstbeschreibung die Diskussion über "Politik, Medien und Öffentlichkeit in Zeiten der Digitalisierung" vorantreiben.
So schreibt Stephan Detjen, der Chefredakteur des Deutschlandfunk, zum Anliegen des Portals:"Qualitätsjournalismus muss im digitalen Kommunikationsraum Kontexte herstellen, Bezüge schaffen, Tiefenbohrungen vornehmen". In seinem Artikel zum Startschuss des Projektes mit dem Titel "Die Sprache des Politischen" argumentiert er, warum die Debatte drängend und notwendig ist:
"Die Agora des 21. Jahrhunderts wird in einem digitalen Lebensraum entstehen. Denn Öffentlichkeit ist nicht mehr ohne die Gesetzmäßigkeiten des Internets zu denken. Weder für politische Akteure, noch für die Vertreter der Medien. Deshalb müssen wir auch über die Struktur eines digitalen Lebensraums gemeinsam und öffentlich nachdenken, in dem traditionelle und neue Medien nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich ergänzen und gegenseitig bereichern."
Das ist schön formuliert, klingt ambitioniert und spricht nicht für den geplanten Kompromiss zwischen dem deutschen Zeitungsverlegerverband und ARD/ZDF.
Zum Dialog auf Diskurs@Deutschlandfunk sind vor allem auch die HörerInnen und UserInnen eingeladen. Noch fehlen dazu die "neuen Ansätze auf der technischen Ebene", wie der Unternehmensberater und Blogger Matthias Schwenk bemängelt. Er ist Mitherausgeber von CARTA, einem Blog für digitale Öffentlichkeit, Politik und Ökonomie, und befasst sich in einem Beitrag Anfang Februar mit der Frage Schöner debattieren?. Darin nimmt er nicht nur Sinn und Zweck von Diskurs@Deutschlandfunk unter die Lupe, sondern auch von VOCER, einem ebenfalls relativ frisch aus der Taufe gehobenen deutschen Think Tank zur Medienkritik und -debatte.
"Wer etwa auf Experimente in Sachen Content-Aggregation, Data-Mining oder der Netzwerk-Analyse gehofft hat, muss sich enttäuscht sehen. Beide Portale sind Stand heute nicht mehr als
gewöhnliche Content Management Systeme, die nach alter Väter Sitte mit medialen Inhalten befüllt werden", so die Kritik von Matthias Schwenk. "Für den Diskurs allein mag das genügen. Wer
aber neue technische Features testen, aufzeigen und vielleicht im Wege des öffentlichen Experiments mit seinen Lesern gemeinsam ausprobieren möchte, ... muss eigentlich mehr bieten
können."
Gefällt mir schon ...
Aber: Was nicht ist, kann noch werden. Das Debattenportal Diskurs@Deutschlandfunk hat ja erst Anfang des Jahres losgelegt. Ich habe darin schon ein bisserl herumgestöbert und gleich eine Fülle an lesens- und sehenswertem Stoff (Artikel, Werkstattgespräche, Videos ...) gefunden. Etwa über die Veränderungen des Radiojournalismus durch Big Data:"Daten lassen sich akustisch 'visualisieren'. Musikstücke in Noten niedergelegt sind faktisch Datensätze" ... habe ich da gelernt. Oder beispielsweise auch Neues erfahren, warum digitale Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene nahezu unmöglich ist. Und in der kommenden Woche soll dann ein Themenschwerpunkt zu ACTA, dem umstrittenen Anti-Counterfeiting Trade Agreement, die Bereitschaft zum Diskurs weiter ankurbeln.
Mir gefällt an dieser Initiative, dass die Auseinandersetzung mit dem Publikum ernsthaft ins Auge gefasst wird. In Österreich erhielte ein derartiges, von einem öffentlich-rechtlichen Sender betriebenes Portal derzeit vermutlich keine Lizenz zum Debattieren. Denn nach dem geltenden ORF-Gesetz dürfen Online-Angebote im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags zum Beispiel nicht mit sozialen Netzwerken verlinkt werden.
Ich würde mir wünschen, dass auch in Österreich spannende interaktive Kommunikations-Kanäle geschaffen werden (dürfen), die der kritischen Reflexion und dem Austausch divergierender Positionen zur Medienrevolution neue Spielräume eröffnen. Vor allem auch öffentlich-rechtliche, die nicht beschnitten sind, sondern als nicht-kommerzielles Labor fungieren und sowohl inhaltlich als auch technologisch eine Vorreiterolle einnehmen könnten.
Der Stoff für Debatten ist schließlich reichlich vorhanden und wird so schnell nicht ausgehen. Ein gemeinsames Nachdenken von Anbietern und NutzerInnen der Onlinemedien erscheint mir jedenfalls zukunftsträchtiger als all die Vereinbarungen und Verbote "von oben", die zur Zeit weitgehend unter Ausschluss der Interessen der KonsumentInnen getroffen werden.
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